Montag, 9. Juli 2007
Genuß
synapse, 16:34h
"Das ist der Krankenwagen!", ruft der Verteidiger, den es nun auch gepackt hat, irgendwer murmelt "Polizei!" dazwischen, und salomonisch spricht das Gericht: "Ein Fahrzeug kommt."
(Klaus Ungerer, "Nichts als die Wahrheit", FAZ 9.7.)
Genossen?
Nein, ungenießbar!
Die Linke beruft sich auf den schon 1933 schrieb „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“
Die dort geführten Kriege, an denen Deutschland beteiligt ist, sind keine Feldzüge für Freiheit und Demokratie, sondern Kämpfe um die Ölvorräte des Vorderen Orients und die Gasvorräte der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres.
Den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg hat auch der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower hergestellt.
Hat der demokratische Präsidentschaftskandidat John F. Kerry im Februar 2004 noch versprochen. Aber auf den Gedanken, dass Ölkriege und Umweltzerstörung eine Folge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind, kam er ebenso wenig wie die rot-grüne Koalition oder die Regierung Merkel.
Die Gefahr, die von der Konzentration des Kapitals in den Händen weniger für die Freiheit ausgeht, sah niemand klarer als der Freiburger Ökonom Walter Eucken, sagte der athenische Staatsmann Perikles vor über 2000 Jahren, nur notorische Schönredner können behaupten, bei uns würden die Angelegenheiten im Interesse der Mehrheit gehandhabt. auf dem geschrieben stand: „Der deutschen Wirtschaft“.
Was nützt einem Analphabeten die Pressefreiheit? Was nützt den Hungernden das Wahlrecht? Und was nützt die Gedanken- und Versammlungsfreiheit den Aidskranken in Afrika? Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keine Republik. Freiheit erleben nur Menschen, die vor dem sozialen Abstieg geschützt werden. Daher muss der Sozialstaat in Deutschland wiederaufgebaut werden. Das gilt vor allem für die Rentengesetzgebung.
„Beim heutigen Stand der Dinge ist eben doch der Sozialismus die einzige Lehre, die an den Grundlagen unserer falschen Gesellschaft und Lebensweise ernstlich Kritik übt.“ Dieser Satz Hermann Hesses gilt noch heute. Er verpflichtet uns, eine gesellschaftliche Ordnung durchzusetzen, die allen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht.
"Freiheit durch Sozialismus von Oskar Lafontaine"
http://www.faz.net/s/RubBF7CD2794CEC4B87B47C719A68C59339/Doc~EDF79F1857ACE4695A14F75FF66BBB210~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Ich war ein Suchender und bin es noch
Zum 130. Geburtstag von Hermann Hesse http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht/621805/
Eine deutliche Mehrheit der Anhänger von CDU und CSU bejaht die drei zentralen politischen Forderungen der neuen Linkspartei. Wie deren Vorsitzender Oskar Lafontaine plädieren auch die meisten Anhänger der Union für einen gesetzlichen Mindestlohn, die Rücknahme der Rente mit 67 und einen Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan.
http://www.welt.de/wams_print/article1007746/Unionswaehler_stuetzen_Forderung_der_Linken.html
Und Dietmar Dath sollte in diesem Zusammenhang mit seiner (Real-?)Satire nicht fehlen.
Sieht Gretchen das ein? Nichts da: Kapitulation, [Tocotronic-Kritik in FAZ, sic!] sagt sie, sei was für Wehrmachtsgeneräle; die Kommunisten dagegen, von denen einzig die Rettung aus der Lohnarbeitsfalle kommen könne, hätten noch keinen Krieg verloren, weder gegen Hitler noch in Vietnam, nur den Frieden hielten sie manchmal nicht durch.
Warum wohl? Schön, daß wenigstens Konrad Adam wieder in der FAZ schreibt und auch Kaube ist wohltuend, Geyer auch. Stört mich wenig, wenn Dath bei der FAZ nicht mehr dabei ist. Das meiste habe ich seit der Lektüre des Interviews (11/06) mit ihm in "Volltext - Zeitung für Literatur" eh nicht mehr gelesen. Bücher von ihm kaufe ich mir auch nicht mehr.
http://volltext.net/
darin:
Wie bewertest du die Möglichkeit, sich heutzutage zum Schriftsteller ausbilden zu lassen? (Degens)
Ich glaube, das geht nur da, wo die Staatsidee des Gemeinwesens, das solche Institute unterhält, selbst etwas mit Literatur, zumindest aber mit Kultur zu tun hat, statt nur mit Steuern, bewaffneten Abteilungen zum Schutz des Eigentums und Verwaltung des Elends. Nicht hier also, sondern nur im Sozialismus.
...FAZ-Redakteur. Hast du damit nicht alte und neue Weggefährten verstört? (Degens)
Falls ich vor meiner FAZ-Zeit noch kein entschlossener Feind des bestehenden Systems war - jetzt bin ich's...Die Verstörten haben nicht aufmerksam genug gelesen, was da steht.
An offenen Wünschen bleiben mir nur noch ein kommunistischer Staatsverlag (das wird, fürchte ich, eine Weile dauern)...
Wir halten das Glück für die Frucht der Freiheit und die Freiheit für die Frucht der Tapferkeit
(aus Grabrede des Perikles via "Die Enkel des Perikles" von R. Baader)
... comment
synapse,
Montag, 16. Juli 2007, 00:56
In der Toscana
Keese über Lafontaines verkürzte Zitate
...legte Lafontaine seine alte Platte auf: Generalstreiks soll es geben, obwohl sie verboten sind. Netzgebundene Industrien wie Energie, Gas, Wasser und Strom will er verstaatlichen und Privatisierungen rückgängig machen. Der Staat soll wieder mehr regulieren. Lauter Rezepte, die Wirtschaftswachstum verhindern, Arbeitsplätze vernichten und den Wohlstand verringern. Obwohl Lafontaines Texte von gefährlichen Ideen nur so strotzten, hat ihm aus den beiden Volksparteien kein Politiker von Rang öffentlich widersprochen...Mit ihrem taktischen Schweigen aber ebnen die Volksparteien den Weg des Gedankengiftes in die Wählerschaft, die selbst nicht genau weiß, wie man der Globalisierung am besten begegnet. Lafontaine liefert supereinfache Patentrezepte, die immer verfangen, aber nie wirken.
Lafontaine vereinnahmt die Argumente anderer für sich
Was Lafontaine aber über das Programm hinaus doppelt gefährlich macht, ist die Argumentationstechnik. Seine Texte arbeiten vor allem mit Zitaten hochrangiger Kronzeugen, vorzugsweise aus dem gegnerischen Lager. Man fällt leicht auf sie herein, denn Lafontaine reißt schmucke Wortfetzen systematisch aus ihrem Kontext und legt sie dem Leser als Pseudobeweis für seine Thesen vor...
Erstes Beispiel: Im Text über Venezuela heißt die Kronzeugin Dorothea Melcher, eine deutsch-venezolanische Historikerin, die Ende Mai im Deutschlandfunk über den Konzessionsverlust des kritischen Senders RCTV gesprochen hatte. Lafontaine zitiert sie mit folgenden Sätzen: „Die privaten Kanäle haben zum Teil sehr üble Hetzkampagnen gegen Chávez geführt. Ich glaube, das könnte sich hier niemand leisten.“ Die Regierung aber habe laut Melcher Hunderte von Lizenzen für „kleine, offene Bürgerfunk- und Fernsehprogramme vergeben“. Ende des Zitats.
Schaut man im Archiv des Deutschlandfunks nach, was Frau Melcher am 26. Mai wirklich gesagt hat, findet man direkt im Anschluss an die von Lafontaine zitierte Passage folgenden Satz: „Trotzdem ist die Abschaltung von Radio Caracas Televisión das falsche Signal in einem Land, dessen demokratische Institutionen seit Langem ausgehöhlt sind und wo sich die Einschränkungen der Pressefreiheit auf vielen Ebenen mehren.“ Diese Aussage lässt Lafontaine einfach weg...
Nächstes Beispiel: Ebenfalls im Chávez-Text zitiert Lafontaine Paul Sethe, einen der fünf FAZ-Gründungsherausgeber, mit dem Satz: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Dann schreibt Lafontaine: „Wer behauptet, das sei heute anders und die deutsche Presse sei ,frei‘ von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen, hat den Blick für die Verhältnisse verloren.“ Auch hier wieder das Nutzbarmachen eines echten Zitats durch Verdrehung des historischen Kontextes. Geschrieben hat Sethe den berühmten Satz am 5. Mai 1965 in einem Leserbrief an den „Spiegel“. Es war die Antwort auf einen Artikel des Journalisten Peter Grubbe unter dem Titel „Links immer leiser“. Grubbe galt damals als linksliberal, wurde aber später von seiner Nazivergangenheit eingeholt.
Sethe hatte den Leserbrief geschrieben, weil ihn Grubbe mit seinem Artikel in einen falschen Zusammenhang gestellt hatte. Dagegen wollte Sethe sich wehren, zeigte als überzeugter Anhänger bürgerlicher Freiheiten aber zugleich Sympathie mit Grubbes Kernthese: dass linke und liberale Journalisten in Deutschland zu wenig Gelegenheit zur Veröffentlichung ihrer Meinung bekämen. Sethe, ein bekennender Konservativer, arbeitete die Bedingungen der freien Presse in seinem Leserbrief kritisch heraus. Dort heißt es: „Ich kenne in der Bundesrepublik keinen Kollegen, der sich und seine Meinung verkauft hätte. Aber wer nun anders denkt, hat er nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken?
Die Verfassung gibt ihm das Recht, die ökonomische Wirklichkeit zerstört es. Frei ist, wer reich ist.“ Das berühmte Zitat „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“ ist eine Anleihe Sethes an den britischen Journalisten und Theaterkritiker Hannen Swaffer (1879–1962). Der hatte geschrieben: „Freedom of the press in Britain is freedom to print such of the proprietor’s prejudices as the advertisers don’t object to.“ Dieses sperrige Zitat verdichtete Sethe zu dem schlagkräftigen Satz von Freiheit als der Freiheit der reichen Leute. Bis heute ist dies der berühmteste Ausspruch, mit dem Sethe in Erinnerung bleibt. Doch stimmt Lafontaines Behauptung, dass sich seit Sethes Tagen nichts geändert habe? Gilt noch, was er sagte?
Lafontaine instrumentalisiert Paul Sethe
Was Sethe mit seinem Ausspruch meinte, war doch dies: Das hohe Gut Pressefreiheit muss in der Praxis ermöglicht werden; auch wirtschaftlich Schwache müssen sich äußern können. Dem kann man nicht widersprechen. Lafontaine instrumentalisiert Paul Sethe nun aber für ein ganz anderes, nämlich ein sozialistisches Anliegen, das dieser niemals unterstützt hätte. Sethe, früher auch Leitartikler und Politikchef der „Welt“, hatte mit Sozialismus gar nichts im Sinn.
Seit 1965 hat sich die Medienlandschaft radikal verändert. Abertausende von Blogs, Webseiten, Independent-Magazinen, Obdachlosenzeitungen, Stadtteilblättern geben heute jedem die Möglichkeit, seine Meinung zu veröffentlichen. Eine alternative Tageszeitung, getragen von einer Genossenschaft, bedient seit zwei Jahrzehnten das linke Spektrum. Sethes Zeitung, die FAZ, herausgegeben von einer Stiftung, lebt und gedeiht. In den Medienkonzernen herrscht Binnenpluralismus. Sethes Zeiten sind wirtschaftlich und technisch überwunden. Vor Meinungen aller Couleur gibt es kaum ein Entkommen. Eher die Masse von Meinungen irritiert das Publikum, keinesfalls der Mangel an Vielfalt. Dass Lafontaine ausgerechnet diesen konservativen, 1967 verstorbenen Publizisten als Kronzeugen für einen Kontroll- und Obrigkeitsstaat à la Chávez heranzieht, ist dreist. Die Bedingungen haben sich geändert.
Aus Sethes Bemerkung kann man nur eine Schlussfolgerung ziehen: besserer Zugang zum Markt auch für Schwache (was heute geschieht), niemals aber Abschalten unliebsamer Oppositionssender durch Machthaber wie Chávez.
Hermann Hesse und der Sozialismus
Das nächste Beispiel stammt aus Lafontaines FAZ-Text. Dort zitiert er Hermann Hesse mit dem Satz: „Beim heutigen Stand der Dinge ist eben doch der Sozialismus die einzige Lehre, die an den Grundlagen unserer falschen Gesellschaft und Lebensweise ernstlich Kritik übt.“ Man ahnt schon, dass auch hier etwas nicht stimmt. Das Zitat stammt aus einem Brief Hesses an seinen Sohn Heiner aus dem Jahr 1930. Darin tröstet Hesse den damals 21-Jährigen nach einem Streit, den dieser mit seinem Arbeitgeber hatte.
Was Lafontaine aus dem Brief verschweigt, sind folgende Sätze: „Dass Du einen Konflikt mit Deinem Arbeitgeber hattest, tut mir leid. Ein ,Sozi‘ bist Du aber keineswegs, die sehen ganz anders aus.“ Und: „Ich selbst bin nicht Sozialist und halte diese Weltanschauung für genauso anfechtbar wie jede andere. Dass ich nicht Sozialist geworden bin, das kommt daher, dass die geistigen Grundlagen des Sozialismus (das heißt die Lehren von Marx) keineswegs ganz rein und einwandfrei sind.“ Hier pocht ein Individualist auf seine politische Unabhängigkeit und lehnt den Sozialismus in einem seitenlangen Brief ausdrücklich ab. Was macht Lafontaine daraus? Er verwandelt Hesse in einen glühenden Sozialisten, indem er alles weglässt, was nicht in den Kram passt. Er nagelt Hesse auf das kleine Sozialistenkompliment fest, das der sich zur Beruhigung seines echauffierten Sohnes abringt. Atemberaubend.
So geht es weiter, zum Beispiel mit Dwight D. Eisenhowers Abschiedsrede von 1961. Lafontaine zitiert einen Absatz mit Eisenhowers Warnung vor übergroßem Einfluss der US-Rüstungsindustrie. Daraus zimmert Lafontaine einen Zwangszusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg.
Wichtig ist, was Lafontaine weglässt
Was lässt er weg? Eisenhowers Mahnung an seine Nachfolger in derselben Rede, die Demokratie immer wehrhaft zu halten, um sie gegen ihre Feinde zu verteidigen: „Lebenswichtig für die Erhaltung des Friedens ist unser Militär. Unsere Waffen müssen mächtig sein, bereit zum sofortigen Einsatz, sodass kein Aggressor in Versuchung gerät, uns anzugreifen.“ Nur so könne man Frieden und Freiheit im Angriffsfall verteidigen. Erst dann warnt Eisenhower vor dem politischen Einfluss einer Industrie, die das Land zu seiner Verteidigung braucht. Lafontaine lässt das eine weg und hebt das andere hervor – fertig ist der Kronzeuge...
Bei der Lektüre dieses sozialismuskritischen Textes fragt man sich, wie Lafontaine überhaupt auf den verwegenen Gedanken kommen konnte, ausgerechnet diesen antikommunistischen Papst als Zeugen für seine Sache zu bemühen und den FAZ-Beitrag auch noch damit zu beginnen. Es muss der Glaube sein, dem Publikum alles unterjubeln zu können.
...Was Oskar Lafontaine betreibt, ist keine normale Rhetorik mehr. Es ist Demagogie.
http://www.welt.de/politik/article1028237/Die_rhetorischen_Tricks_eines_Populisten.html?page=10#read_comments
...legte Lafontaine seine alte Platte auf: Generalstreiks soll es geben, obwohl sie verboten sind. Netzgebundene Industrien wie Energie, Gas, Wasser und Strom will er verstaatlichen und Privatisierungen rückgängig machen. Der Staat soll wieder mehr regulieren. Lauter Rezepte, die Wirtschaftswachstum verhindern, Arbeitsplätze vernichten und den Wohlstand verringern. Obwohl Lafontaines Texte von gefährlichen Ideen nur so strotzten, hat ihm aus den beiden Volksparteien kein Politiker von Rang öffentlich widersprochen...Mit ihrem taktischen Schweigen aber ebnen die Volksparteien den Weg des Gedankengiftes in die Wählerschaft, die selbst nicht genau weiß, wie man der Globalisierung am besten begegnet. Lafontaine liefert supereinfache Patentrezepte, die immer verfangen, aber nie wirken.
Lafontaine vereinnahmt die Argumente anderer für sich
Was Lafontaine aber über das Programm hinaus doppelt gefährlich macht, ist die Argumentationstechnik. Seine Texte arbeiten vor allem mit Zitaten hochrangiger Kronzeugen, vorzugsweise aus dem gegnerischen Lager. Man fällt leicht auf sie herein, denn Lafontaine reißt schmucke Wortfetzen systematisch aus ihrem Kontext und legt sie dem Leser als Pseudobeweis für seine Thesen vor...
Erstes Beispiel: Im Text über Venezuela heißt die Kronzeugin Dorothea Melcher, eine deutsch-venezolanische Historikerin, die Ende Mai im Deutschlandfunk über den Konzessionsverlust des kritischen Senders RCTV gesprochen hatte. Lafontaine zitiert sie mit folgenden Sätzen: „Die privaten Kanäle haben zum Teil sehr üble Hetzkampagnen gegen Chávez geführt. Ich glaube, das könnte sich hier niemand leisten.“ Die Regierung aber habe laut Melcher Hunderte von Lizenzen für „kleine, offene Bürgerfunk- und Fernsehprogramme vergeben“. Ende des Zitats.
Schaut man im Archiv des Deutschlandfunks nach, was Frau Melcher am 26. Mai wirklich gesagt hat, findet man direkt im Anschluss an die von Lafontaine zitierte Passage folgenden Satz: „Trotzdem ist die Abschaltung von Radio Caracas Televisión das falsche Signal in einem Land, dessen demokratische Institutionen seit Langem ausgehöhlt sind und wo sich die Einschränkungen der Pressefreiheit auf vielen Ebenen mehren.“ Diese Aussage lässt Lafontaine einfach weg...
Nächstes Beispiel: Ebenfalls im Chávez-Text zitiert Lafontaine Paul Sethe, einen der fünf FAZ-Gründungsherausgeber, mit dem Satz: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Dann schreibt Lafontaine: „Wer behauptet, das sei heute anders und die deutsche Presse sei ,frei‘ von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen, hat den Blick für die Verhältnisse verloren.“ Auch hier wieder das Nutzbarmachen eines echten Zitats durch Verdrehung des historischen Kontextes. Geschrieben hat Sethe den berühmten Satz am 5. Mai 1965 in einem Leserbrief an den „Spiegel“. Es war die Antwort auf einen Artikel des Journalisten Peter Grubbe unter dem Titel „Links immer leiser“. Grubbe galt damals als linksliberal, wurde aber später von seiner Nazivergangenheit eingeholt.
Sethe hatte den Leserbrief geschrieben, weil ihn Grubbe mit seinem Artikel in einen falschen Zusammenhang gestellt hatte. Dagegen wollte Sethe sich wehren, zeigte als überzeugter Anhänger bürgerlicher Freiheiten aber zugleich Sympathie mit Grubbes Kernthese: dass linke und liberale Journalisten in Deutschland zu wenig Gelegenheit zur Veröffentlichung ihrer Meinung bekämen. Sethe, ein bekennender Konservativer, arbeitete die Bedingungen der freien Presse in seinem Leserbrief kritisch heraus. Dort heißt es: „Ich kenne in der Bundesrepublik keinen Kollegen, der sich und seine Meinung verkauft hätte. Aber wer nun anders denkt, hat er nicht auch das Recht, seine Meinung auszudrücken?
Die Verfassung gibt ihm das Recht, die ökonomische Wirklichkeit zerstört es. Frei ist, wer reich ist.“ Das berühmte Zitat „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“ ist eine Anleihe Sethes an den britischen Journalisten und Theaterkritiker Hannen Swaffer (1879–1962). Der hatte geschrieben: „Freedom of the press in Britain is freedom to print such of the proprietor’s prejudices as the advertisers don’t object to.“ Dieses sperrige Zitat verdichtete Sethe zu dem schlagkräftigen Satz von Freiheit als der Freiheit der reichen Leute. Bis heute ist dies der berühmteste Ausspruch, mit dem Sethe in Erinnerung bleibt. Doch stimmt Lafontaines Behauptung, dass sich seit Sethes Tagen nichts geändert habe? Gilt noch, was er sagte?
Lafontaine instrumentalisiert Paul Sethe
Was Sethe mit seinem Ausspruch meinte, war doch dies: Das hohe Gut Pressefreiheit muss in der Praxis ermöglicht werden; auch wirtschaftlich Schwache müssen sich äußern können. Dem kann man nicht widersprechen. Lafontaine instrumentalisiert Paul Sethe nun aber für ein ganz anderes, nämlich ein sozialistisches Anliegen, das dieser niemals unterstützt hätte. Sethe, früher auch Leitartikler und Politikchef der „Welt“, hatte mit Sozialismus gar nichts im Sinn.
Seit 1965 hat sich die Medienlandschaft radikal verändert. Abertausende von Blogs, Webseiten, Independent-Magazinen, Obdachlosenzeitungen, Stadtteilblättern geben heute jedem die Möglichkeit, seine Meinung zu veröffentlichen. Eine alternative Tageszeitung, getragen von einer Genossenschaft, bedient seit zwei Jahrzehnten das linke Spektrum. Sethes Zeitung, die FAZ, herausgegeben von einer Stiftung, lebt und gedeiht. In den Medienkonzernen herrscht Binnenpluralismus. Sethes Zeiten sind wirtschaftlich und technisch überwunden. Vor Meinungen aller Couleur gibt es kaum ein Entkommen. Eher die Masse von Meinungen irritiert das Publikum, keinesfalls der Mangel an Vielfalt. Dass Lafontaine ausgerechnet diesen konservativen, 1967 verstorbenen Publizisten als Kronzeugen für einen Kontroll- und Obrigkeitsstaat à la Chávez heranzieht, ist dreist. Die Bedingungen haben sich geändert.
Aus Sethes Bemerkung kann man nur eine Schlussfolgerung ziehen: besserer Zugang zum Markt auch für Schwache (was heute geschieht), niemals aber Abschalten unliebsamer Oppositionssender durch Machthaber wie Chávez.
Hermann Hesse und der Sozialismus
Das nächste Beispiel stammt aus Lafontaines FAZ-Text. Dort zitiert er Hermann Hesse mit dem Satz: „Beim heutigen Stand der Dinge ist eben doch der Sozialismus die einzige Lehre, die an den Grundlagen unserer falschen Gesellschaft und Lebensweise ernstlich Kritik übt.“ Man ahnt schon, dass auch hier etwas nicht stimmt. Das Zitat stammt aus einem Brief Hesses an seinen Sohn Heiner aus dem Jahr 1930. Darin tröstet Hesse den damals 21-Jährigen nach einem Streit, den dieser mit seinem Arbeitgeber hatte.
Was Lafontaine aus dem Brief verschweigt, sind folgende Sätze: „Dass Du einen Konflikt mit Deinem Arbeitgeber hattest, tut mir leid. Ein ,Sozi‘ bist Du aber keineswegs, die sehen ganz anders aus.“ Und: „Ich selbst bin nicht Sozialist und halte diese Weltanschauung für genauso anfechtbar wie jede andere. Dass ich nicht Sozialist geworden bin, das kommt daher, dass die geistigen Grundlagen des Sozialismus (das heißt die Lehren von Marx) keineswegs ganz rein und einwandfrei sind.“ Hier pocht ein Individualist auf seine politische Unabhängigkeit und lehnt den Sozialismus in einem seitenlangen Brief ausdrücklich ab. Was macht Lafontaine daraus? Er verwandelt Hesse in einen glühenden Sozialisten, indem er alles weglässt, was nicht in den Kram passt. Er nagelt Hesse auf das kleine Sozialistenkompliment fest, das der sich zur Beruhigung seines echauffierten Sohnes abringt. Atemberaubend.
So geht es weiter, zum Beispiel mit Dwight D. Eisenhowers Abschiedsrede von 1961. Lafontaine zitiert einen Absatz mit Eisenhowers Warnung vor übergroßem Einfluss der US-Rüstungsindustrie. Daraus zimmert Lafontaine einen Zwangszusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg.
Wichtig ist, was Lafontaine weglässt
Was lässt er weg? Eisenhowers Mahnung an seine Nachfolger in derselben Rede, die Demokratie immer wehrhaft zu halten, um sie gegen ihre Feinde zu verteidigen: „Lebenswichtig für die Erhaltung des Friedens ist unser Militär. Unsere Waffen müssen mächtig sein, bereit zum sofortigen Einsatz, sodass kein Aggressor in Versuchung gerät, uns anzugreifen.“ Nur so könne man Frieden und Freiheit im Angriffsfall verteidigen. Erst dann warnt Eisenhower vor dem politischen Einfluss einer Industrie, die das Land zu seiner Verteidigung braucht. Lafontaine lässt das eine weg und hebt das andere hervor – fertig ist der Kronzeuge...
Bei der Lektüre dieses sozialismuskritischen Textes fragt man sich, wie Lafontaine überhaupt auf den verwegenen Gedanken kommen konnte, ausgerechnet diesen antikommunistischen Papst als Zeugen für seine Sache zu bemühen und den FAZ-Beitrag auch noch damit zu beginnen. Es muss der Glaube sein, dem Publikum alles unterjubeln zu können.
...Was Oskar Lafontaine betreibt, ist keine normale Rhetorik mehr. Es ist Demagogie.
http://www.welt.de/politik/article1028237/Die_rhetorischen_Tricks_eines_Populisten.html?page=10#read_comments
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