Mittwoch, 4. Mai 2005
Sweet Dreams
Daniel Dennett hat wieder zugeschlagen:

Kennt man den Trick, ist der Zauber verflogen
Hirnforscher, wie wär's mit einer neuen Runde? Daniel Dennett ist so frei, den Geist aus der Bewußtseinsfalle zu befreien

Daniel C. Dennett: "Sweet Dreams". Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness. The MIT Press, Cambridge, Mass., London 2005. 199 S., geb., 18,95 £.
(Rezension im Kommentar)

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Kennt man den Trick, ist der Zauber verflogen
29. April 2005 Vor fast dreihundert Jahren entwarf Gottfried Wilhelm Leibniz ein Gedankenexperiment, bei dem es um die Erzeugung von Gedanken ging. Es sollte auf einen Blick klarmachen, daß maschinelle Erklärungen geistiger Aktivitäten nicht möglich sind. Denn wenn man einmal annähme, so Leibniz, eine Maschine könne Denken, Wahrnehmen und Empfinden hervorbringen, so dürfe man sich diese Maschine auch vergrößert denken, auf daß man in sie wie in eine Mühle eintreten könne. Und was zeigte da die Inspektion? Nichts als aneinanderstoßende Teile und nirgendwo etwas, woraus sich die Entstehung von Geist erklären ließe.

Das war nicht gerade ein Argument, aber ein mit Blick auf die Maschinenwelt zu Leibniz' Zeiten sehr klug gewähltes Bild. Es konnte noch lange danach auf die Intuition setzen, daß aus Zahnrädern und dergleichen wohl nicht der Funke des Geistes zu schlagen sei. Richtig ins Wanken kam Leibniz' Intuition erst mit den Computern aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Da war sie nun, die Maschine, die immer interessantere Fähigkeiten demonstrierte.

Die entsprechende Faszination schlug sich in Rechnermodellen des Geistes nieder, deren Absehen von der sehr spezifischen wetware des Gehirns mittlerweile als recht krude Voreiligkeit zutage liegt. Eines ist freilich der Hinweis, daß das Gehirn nicht mit einem noch so parallel organisierten Prozessorenverbund gleichzusetzen ist, und etwas ganz anderes, in dieser Korrektur den Nachweis zu sehen, daß geistige Fähigkeiten einer funktionalen Beschreibung prinzipiell unzugänglich seien. Doch genau in diese Richtung zieht es einige zeitgenössische Philosophen, die sich über Geist und Bewußtsein den Kopf zerbrechen. Ihren Einwendungen, daß Bewußtsein gar kein Gegenstand objektivierender wissenschaftlicher Methoden sein könne, ist Daniel C. Dennetts neues Buch gewidmet.

Natürlich verteidigt Dennett damit nicht zuletzt sein eigenes entschiedenes Eintreten für die uneingeschränkte Anwendung objektivierender Erklärungen, die keinen prinzipiellen Unterschied machen, ob es sich nun um den Stoffwechsel, das Immunsystem oder das Bewußtsein handelt. Ins Visier genommen werden Einwände und tiefliegende Bedenken gegen eine solche "naturalistische" Behandlung des Bewußtseins - und vor allem die Intuitionen, die für diese Bedenken ins Feld geführt werden.

In seinem letzten Buch ("Freedom evolves", 2003) war es über weite Strecken um den Nachweis gegangen, daß Vorstellungen über selbstverantwortetes Handeln im naturalistischen Erklärungsrahmen durchaus Bestand haben und recht betrachtet nur leerlaufendes Räderwerk abgeschafft wird, wenn Freiheit nicht mehr auf tendenziell rätselhafte Weise dem Naturzusammenhang gegenübergestellt wird. Nunmehr geht es darum, jene Intuitionen zu entzaubern, die darauf hinauslaufen, Bewußtsein als ein zutiefst rätselhaftes Phänomen anzusehen, das normalwissenschaftlich entweder gar nicht oder nur mit ziemlich verzweifelt anmutenden Einsätzen zu erklären ist.

Um das Haben von Bewußtsein als abgründiges Problem anzusehen, genügen wenige Schritte. Am Beginn kann etwa die Intuition stehen, daß Bewußtsein etwas Subjektives und Inneres ist, das von außen und für andere höchstens indirekt oder gar nicht zugänglich ist. Nur mir selbst ist demnach bekannt, wie es sich anfühlt, und insofern ist die Perspektive der ersten Person unumgehbar. So wie auch nur ich selbst diese meine bewußte Rotempfindung haben kann, die eben nicht einfach in die auch von Dritten feststellbare Reizung meiner Retina und die Verarbeitungsprozeduren dahintergeschalteter Neuronenverbände konvertiert werden kann. Denn läßt sich ein größerer Unterschied denken als der zwischen Erregungssequenzen von Neuronen und meiner Empfindung von Rot? Wie also diese "Erklärungslücke" überwinden?

Es ist, man sieht es rasch, wie in Leibniz' Mühle: überall bloß Neuronen, aber nirgends die Spur einer Farbempfindung oder anderer "Qualia", nirgendwo bewußtes Erleben. Und mit etwas Nachhilfe von philosophischer Seite wird daraus zum Beispiel die Vexiergestalt des Zombies, der uns aufs Haar gleicht, alle Verhaltensweisen und auch inneren Zustände eingeschlossen, und doch eines nicht hat: bewußtes Erleben dieser Zustände. Weil dieser Zombie aus der philosophischen Retorte im Unterschied zu seinen Kollegen in der Unterhaltungsindustrie tatsächlich nicht von uns unterschieden werden kann, folgt dann auch (sofern man sich ihn wirklich vorstellen kann), daß es mit einer wissenschaftlich objektivierenden Betrachtung des Phänomens Bewußtsein nichts wird - denn die würde den Zombie genauso beschreiben wie uns.

Dennett kennt dieses philosophische Terrain bis in feinste Verzweigungen, und unerschöpft ist seine Geduld, es mit Gegenspielern wie Searle, Chalmers und anderen aufzunehmen. Er tut dies auch in dem neuen schmalen Band mit Klarheit, Verve und der ihm eigenen spielerischen Phantasie im Entwerfen von erhellenden Szenarien. Vor allem sind ihm die einschlägigen Debatten mittlerweile geläufig genug, um zu wissen, daß die entscheidenden Differenzen nicht geradewegs durch Argumente aufzulösen sind. Wie sollten die auch aussehen, wenn die Gegenseite auf Intuitionen besteht, die den Zugang in der Perspektive der ersten Person auf prinzipielle Weise privilegieren?

Bleibt also nur der Versuch, diesen Intuitionen in immer neuen Varianten eher merkwürdige Folgerungen abzugewinnen, um so ihrer vermeintlichen Evidenz beizukommen und sie als ebenso verführerische wie mißverständliche Beschreibungen zu begreifen. Schon der erste Schritt, sich nämlich darüber zu verständigen, was überhaupt erklärt werden soll, wenn es um Bewußtsein geht, führt bei Lage der Dinge mitten in die Verständnisschwierigkeiten. Dennett offeriert eine wohlüberlegte Strategie, die Bekundungen bewußten Erlebens in der ersten Person nicht beiseite schiebt, denn sie gilt es ja zu erklären, sie aber als sehr wohl von Dritten korrigierbare Äußerungen nimmt. So wird die Vorstellung, daß die "Bewußtseinsinhalte selbst" die letztlich unüberprüfbare Basis möglicher Explikationen abgeben, auf Distanz gebracht.

Eine andere Lockerungsübung aus Dennetts therapeutischem Repertoire geht von der Beobachtung aus, daß "wirkliche" Magie tatsächlich nicht zu erklären ist. Denn kann man's, war's keine wirkliche Magie, sondern "bloß" ein Trick; und kennt man den Trick, wie ihn etwa ein Bühnenmagier benutzt, ist der Zauber verpufft. Die Parallele zur Debatte ums Bewußtsein ist schnell gezogen. Was ein Philosoph vom Schlag Searles möchte, ist schlicht beides: die Bestätigung der wirklichen Magie und eine Erklärung. Beides zusammen aber ist, ohne daß hier Abgründigkeiten bemüht werden müßten, schlicht nicht zu haben.

Autoren wie Searle und Chalmers erwarten, so lautet Dennetts Diagnose, irgendwo in der auf neuesten Stand gebrachten Leibnizschen Maschine etwas Subjekthaftes vorgeführt zu bekommen. Alles andere kann sie nur enttäuschen: Aberwitzig viele Proteinroboter, die vor sich hin werkeln - das kann einfach nicht hinreichen. Dann lieber noch die merkwürdigsten Spekulationen auf quantenmechanische Phänomene, aus denen der Funke des Geistes (und des freien Willens) springen soll.

Zu den neueren Interventionen von physikalischer Seite, denen auf diese Weise der Boden bereitet wird, hat Dennett eine Bemerkung parat: Zum erstenmal seien es immerhin nicht Philosophen, die sich durch ein Höchstmaß an Arroganz und sachfremder Ignoranz auszeichnen. Und im übrigen gibt er einmal mehr zu bedenken, daß Erklärung auf diesem Feld genau das meint: nach Möglichkeit verstehbar werden zu lassen, wie aus Trillionen von vernetzten winzigen Zellrobotern auf höherer Systemebene Fähigkeiten wie Objektdiskriminierung, Kategorisierung, Lernen und eben auch Bewußtsein, wie wir es uns zuschreiben, entstehen. Es gilt, die Tricks zu finden, das Kunststück ist dann immer noch recht beeindruckend.

Über die Aussicht, damit Qualia, Erklärungslücken und Zombies vom Tisch gebracht zu haben, wird man sich nicht viele Illusionen machen. Aber mit Dennett kann man sich gut gegen die Gefahr rüsten, von ihnen nachhaltig in Bann geschlagen zu werden.

HELMUT MAYER

Daniel C. Dennett: "Sweet Dreams". Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness. The MIT Press, Cambridge, Mass., London 2005. 199 S., geb., 18,95 £.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.04.2005, Nr. 99 / Seite 41

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