Montag, 4. April 2005
Kling
synapse, 04:00h
Das hört ja überhaupt nicht mehr auf mit dem Sterben:
Literatur
Hochdekorierter Dichter und Vorbild für Rockpoeten
Der Lyriker Thomas Kling ist im Alter von 47 Jahren gestorben. Der Dichter erlag einem Lungenkrebsleiden. Kling hatte sich vor allem mit dem Klang von Gedichten beschäftigt und war zum Vorbild für Rockpoeten geworden.
dort Gespräch mit dem Dichter Thomas Kling
Morgen mal "Fernhandel" raussuchen.
http://www.faz.net
hier - wie immer dort- einige vom Dichter gesprochene Gedichte
http://www.lyrikline.de/de/list_az.aspx?authorId=tk00
Literatur
Hochdekorierter Dichter und Vorbild für Rockpoeten
Der Lyriker Thomas Kling ist im Alter von 47 Jahren gestorben. Der Dichter erlag einem Lungenkrebsleiden. Kling hatte sich vor allem mit dem Klang von Gedichten beschäftigt und war zum Vorbild für Rockpoeten geworden.
dort Gespräch mit dem Dichter Thomas Kling
Morgen mal "Fernhandel" raussuchen.
http://www.faz.net
hier - wie immer dort- einige vom Dichter gesprochene Gedichte
http://www.lyrikline.de/de/list_az.aspx?authorId=tk00
... comment
synapse,
Montag, 4. April 2005, 19:27
Poetische Archäologie
Poetische Archäologie
Zum Tod des Dichters Thomas Kling
Thomas Kling war von seiner poetischen Sendung nicht minder überzeugt als jener Gastwirtssohn aus Bingen, der als Stefan George berühmt wurde. Schließlich legte er, Thomas Kling, Wert darauf, auch, nämlich 1957, in Bingen geboren zu sein. Schließlich hatte er, als Mittdreißiger, bereits seine Epigonen, Klingonen genannt, die er förderte und, gar nicht insgeheim, verachtete. Er besaß die Chuzpe, seine Konkurrenten, selbst seine toten, zu verspotten. So Ingeborg Bachmann, der er "artifizielle Schneewittchenhaftigkeit" attestierte. Thomas Kling besaß ein starkes, lustbetontes Selbstgefühl, das seiner Vitalität entsprach: "Ich finde das richtig klasse, Dichter zu sein: Dichter müssen spekulieren."
Dichter bringen einen neuen Ton in die Poesie. Im Falle Thomas Klings eine neue Masche. Kling hat die orale Poesie nicht erfunden. Er hatte genügend Vorbilder: August Stramm, Ernst Jandl, Oskar Pastior. Doch er hat ein neues lyrisches Konzept entwickelt, das er "Sprach-Installation" nannte. Anfang der achtziger Jahre machte er sich durch seine Auftritte im Rheinland einen Namen. Es waren keine Gedichte im landläufigen Sinne mehr, sondern Sprachpartituren, die sich erst in der lautlichen Realisation entfalteten. Für Gottfried Benn war das moderne Gedicht die schwarze Letter auf weißem Grund. Vorlesen war fast eine Verlegenheit, und Generationen deutscher Lyriker waren stolz darauf, mürrisch vor sich hin zu stümpern. Kling hatte dafür nur Hohnübrig. Sein Debüt "erprobung herzstärkender mittel" (1986) zeigte, daß man auch aus der Zertrümmerung der Worte und der Aufhebung der Orthographie Poesie herausholen konnte. Solche Techniken waren für ihn "geschmacksverstärker" (1989) - , ja sie waren "brennstab" 1991. Kling wollte die Sprachgewohnheiten und Realitätsauffassungen aufschmelzen.
Das Abräumen genügte ihm auf die Dauer nicht, auch nicht eine an Symptomen laborierende Gesellschaftskritik. Kling zielte auf große Entwürfe. Sie waren eher in der Vergangenheit als in der Aktualität zu finden. Eines der ersten Projekte war das Poem "die zerstörtn: ein gesang", ein Zyklus, der die Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts als einen Albtraum von Bildern und Sprachsplittern zu fassen sucht, "aus schwer zerlebten trauma-höhlen". Vor allem auf den Ersten Weltkrieg, an dem sein Großvater teilnahm, kam Kling immer wieder zurück. Der Bestialität des Krieges suchte er in Sprachzersprengungen zu entsprechen, in "nacht. sicht. gerät" (1993) freilich mit dem Resultat, daß die Wortzerstückung zum ästhetischen Spiel geriet. Oder zum dubiosen Kalauer, etwa wenn in einer Reminiszenz an Rußland 1812 von "napoleons gefrierfleisch" die Rede ist.
Klings poetisches Glück lag eher im Rekurs auf die Poesie. Auch in einer Heimkehr zum Geschriebenen, zur Schrift. Schön zeigt das der Band "Morsch" (1996) und das Gedicht "Manhattan Mundraum". Die Stadt, als ungeheurer Kosmos, hat als Zentralorgan "ihre zunge, geschwärzter eingeschärzter o-ton". Und was tut der Dichter? "dies abgekochte rom; dem geben wir, zart, / seine zunge zurück. di wächst rom zwischen / den zähnen heraus."
Solche Rückgabe der Lingua (ebender Zunge) bestimmte Klings Aktiviäten der letzten Jahre. Der Rückweg in die Tradition wurde sein Weg voran. Ein Zyklus "vogelherd" ging auf Mittelhochdeutsches zurück und verstand sich als Folge von "microbucolica". Hinter dem Kürenberger, hinter Wolkenstein und Vergil taucht eine "Sapphozuschreibun'. Nachtvorgang" auf und mit ihr die früheste Naturlyrik. In Konkurrenz zu Raoul Schrott übersetzte Kling Catull und schuf dem metropolitanen "street talk" des Römers ein zeitgenössisches Analogon. Kling benannte das alles mit dem Titel eines Bandes von 1999: "Fernhandel".
Kein Zweifel, daß solche Alexanderzüge mittels Wallungen (Gottfried Benn) diesen Dichter in seiner Lebensmitte weit geführt hätten. Sein Indien war noch nicht erreicht, der tiefe Brunnen der Vergangenheit nicht ausgelotet. In seinen "Sondagen" (2002) gab Kling sich als Archäologe und als Medizinmann. Seine poetische Fahrt führte von der Raketenstation Hombroich, wo er wohnte, zu den Schätzen der Griechischen Anthologie und zu den Fluch- und Segensformeln der frühesten sprachlichen Zeugnisse. Diese Fahrt ist abrupt an ein Ende gekommen. Das macht den Schmerz aus, den wir bei der Nachricht vom Tod eines viel zu früh gestorbenen Dichters verspüren. Die "Auswertung der Flugdaten" - der Titel des letzten Buches - ist nun Sache der Leser von Thomas Kling. HARALD HARTUNG
Text: F.A.Z., 04.04.2005, Nr. 77 / Seite 40
Zum Tod des Dichters Thomas Kling
Thomas Kling war von seiner poetischen Sendung nicht minder überzeugt als jener Gastwirtssohn aus Bingen, der als Stefan George berühmt wurde. Schließlich legte er, Thomas Kling, Wert darauf, auch, nämlich 1957, in Bingen geboren zu sein. Schließlich hatte er, als Mittdreißiger, bereits seine Epigonen, Klingonen genannt, die er förderte und, gar nicht insgeheim, verachtete. Er besaß die Chuzpe, seine Konkurrenten, selbst seine toten, zu verspotten. So Ingeborg Bachmann, der er "artifizielle Schneewittchenhaftigkeit" attestierte. Thomas Kling besaß ein starkes, lustbetontes Selbstgefühl, das seiner Vitalität entsprach: "Ich finde das richtig klasse, Dichter zu sein: Dichter müssen spekulieren."
Dichter bringen einen neuen Ton in die Poesie. Im Falle Thomas Klings eine neue Masche. Kling hat die orale Poesie nicht erfunden. Er hatte genügend Vorbilder: August Stramm, Ernst Jandl, Oskar Pastior. Doch er hat ein neues lyrisches Konzept entwickelt, das er "Sprach-Installation" nannte. Anfang der achtziger Jahre machte er sich durch seine Auftritte im Rheinland einen Namen. Es waren keine Gedichte im landläufigen Sinne mehr, sondern Sprachpartituren, die sich erst in der lautlichen Realisation entfalteten. Für Gottfried Benn war das moderne Gedicht die schwarze Letter auf weißem Grund. Vorlesen war fast eine Verlegenheit, und Generationen deutscher Lyriker waren stolz darauf, mürrisch vor sich hin zu stümpern. Kling hatte dafür nur Hohnübrig. Sein Debüt "erprobung herzstärkender mittel" (1986) zeigte, daß man auch aus der Zertrümmerung der Worte und der Aufhebung der Orthographie Poesie herausholen konnte. Solche Techniken waren für ihn "geschmacksverstärker" (1989) - , ja sie waren "brennstab" 1991. Kling wollte die Sprachgewohnheiten und Realitätsauffassungen aufschmelzen.
Das Abräumen genügte ihm auf die Dauer nicht, auch nicht eine an Symptomen laborierende Gesellschaftskritik. Kling zielte auf große Entwürfe. Sie waren eher in der Vergangenheit als in der Aktualität zu finden. Eines der ersten Projekte war das Poem "die zerstörtn: ein gesang", ein Zyklus, der die Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts als einen Albtraum von Bildern und Sprachsplittern zu fassen sucht, "aus schwer zerlebten trauma-höhlen". Vor allem auf den Ersten Weltkrieg, an dem sein Großvater teilnahm, kam Kling immer wieder zurück. Der Bestialität des Krieges suchte er in Sprachzersprengungen zu entsprechen, in "nacht. sicht. gerät" (1993) freilich mit dem Resultat, daß die Wortzerstückung zum ästhetischen Spiel geriet. Oder zum dubiosen Kalauer, etwa wenn in einer Reminiszenz an Rußland 1812 von "napoleons gefrierfleisch" die Rede ist.
Klings poetisches Glück lag eher im Rekurs auf die Poesie. Auch in einer Heimkehr zum Geschriebenen, zur Schrift. Schön zeigt das der Band "Morsch" (1996) und das Gedicht "Manhattan Mundraum". Die Stadt, als ungeheurer Kosmos, hat als Zentralorgan "ihre zunge, geschwärzter eingeschärzter o-ton". Und was tut der Dichter? "dies abgekochte rom; dem geben wir, zart, / seine zunge zurück. di wächst rom zwischen / den zähnen heraus."
Solche Rückgabe der Lingua (ebender Zunge) bestimmte Klings Aktiviäten der letzten Jahre. Der Rückweg in die Tradition wurde sein Weg voran. Ein Zyklus "vogelherd" ging auf Mittelhochdeutsches zurück und verstand sich als Folge von "microbucolica". Hinter dem Kürenberger, hinter Wolkenstein und Vergil taucht eine "Sapphozuschreibun'. Nachtvorgang" auf und mit ihr die früheste Naturlyrik. In Konkurrenz zu Raoul Schrott übersetzte Kling Catull und schuf dem metropolitanen "street talk" des Römers ein zeitgenössisches Analogon. Kling benannte das alles mit dem Titel eines Bandes von 1999: "Fernhandel".
Kein Zweifel, daß solche Alexanderzüge mittels Wallungen (Gottfried Benn) diesen Dichter in seiner Lebensmitte weit geführt hätten. Sein Indien war noch nicht erreicht, der tiefe Brunnen der Vergangenheit nicht ausgelotet. In seinen "Sondagen" (2002) gab Kling sich als Archäologe und als Medizinmann. Seine poetische Fahrt führte von der Raketenstation Hombroich, wo er wohnte, zu den Schätzen der Griechischen Anthologie und zu den Fluch- und Segensformeln der frühesten sprachlichen Zeugnisse. Diese Fahrt ist abrupt an ein Ende gekommen. Das macht den Schmerz aus, den wir bei der Nachricht vom Tod eines viel zu früh gestorbenen Dichters verspüren. Die "Auswertung der Flugdaten" - der Titel des letzten Buches - ist nun Sache der Leser von Thomas Kling. HARALD HARTUNG
Text: F.A.Z., 04.04.2005, Nr. 77 / Seite 40
... link
... comment