Samstag, 2. April 2005
Zeitung
Auf der Literaturseite Hinweis auf neues Buch von Dietmar Dath (1000 Seiten, wie macht der das nur? Hat der einen Co-Autor?), das sich aber nicht in der digitalen FAZ findet. Dort nur die beiden Rezensionen der Literaturseite. Bei Amazon ist es noch nicht gelistetet.

3.4. 23:17
Heute in FAZ-Sonntagszeitung Feuilleton ein Ausschnittchen daraus, online nur für Abonnenten.

Damien Hirst sieht seinen Platz im Himmel neben Pollock. Etwas unverschämt. Stand die Woche im Feuilleton.

Heute ins Kino.

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"Damien Hirst ..." - Wahrscheinlich kommt er zur Strafe neben den Papst! ;-) - Ist denn der Pollock überhaupt da im Himmel? Ich würd den ja im Fegefeuer suchen, mal gucken, ob da immer noch der Rest-Alkohol am Verdampfen ist ...

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Pollock
Gute Bilder, aber menschlich ein Schwein, zumindest nach dem Film "Pollock". Findet sich wohl in der Hölle.

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Dath - Wo wir alle herkommen
Wo wir alle herkommen
Und wie man nicht kämpft: Dietmar Daths neuer Roman "Für immer in Honig" - Ein Vorabdruck

Bis Freddy kam, saß Beate häufig nachts allein da, teuer angezogen, in einer Bar, mit dem Alkohol.

Niemand traute sich, sie anzusprechen. Ihr kam das ganz richtig vor: sehr wenige Frauen in ihrem Beruf hatte einen. Oder eine. Oder überhaupt was, außer diesen Beruf, und entsprechend viel Geld sowie Kram, den man sich dafür kaufen konnte. Mit einem leicht vermuffelten Anflug von Wehmut dachte sie manchmal an ihren schönen Tisch, damals, als sie anderthalb Jahre in Amerika gelebt hatte, weil da die Geschäfte besser gingen: Glasplatte auf Bronze, acht Gäste hätten drum herum gepaßt, Silas Seandel Studio, 551-3 West 22nd Street, New York, NY 10011. Schön war der gewesen, wie die Woodmode-Küche mit den dunklen, duftenden Schränken, der Ahornschreibtisch im Arbeitszimmer, die körperangepaßte TechnoScout-Matratze, der riesige schwarze Flachbildschirmfernseher, die Waverly-Tapeten, die Andrew-Marc-Ledersachen, die meistens an der Garderobe im Flur hingen, weil sie so was kaum anzog.

"Scheiße, ich hatte sogar ein Tigerfell vor dem Sofa. Wahnsinn", flüsterte sie und lächelte, weil ihr gefiel, daß nichts davon geblieben war. Je vergänglicher der Reichtum, desto reicher fühlt er sich im Rückblick an. Wann werden wir frei sein?

Hinter den schönen Farben der teuren Alkoholika sah der Zustand, in dem sie sich inzwischen befand, das Leben in Bars, die Erinnerungen an ein Luxusleben, das gerade mal drei Jahre zurücklag, würdig aus, melancholisch, auf jeden Fall, selbstgewählt: Ach Gott, fühle ich mich wieder höllisch alt heute abend. Da kann ich dann nachher in der Wohnung wieder weinen, still für mich und schön, Tränen der Wut wahrscheinlich, ich muß mich nicht schämen. Hätte ich einen, oder eine, oder überhaupt was, außer diesen Beruf, könnte ich meinem Lebensabschnittsgehilfen, meiner Daseinsbegleiterin, irgendeinem Kind und Kegel sowieso nicht erklären, worum es geht. Niemand wäre stark genug, mit mir meinen Verrat zu tragen.

Nichts ist wahr und nichts ist richtig, also bin ich heute nacht allein. Außerdem habe ich schon mit siebzehn mit zwei Typen gleichzeitig gevögelt. Ein junger Exzeß prägt fürs Leben, besser kommt's nicht mehr, da kann man später ruhig mal abstinent beziehungsweise einsam sein. Er oder sie würde sowieso nur versuchen, mich zu ändern, und das geht gar nicht. Ich habe ein Gesicht, das ich ihm oder ihr nie zeigen könnte, ich muß die Regeln selber machen, während ich mich durchwurstle, also bitte, mir ist es eigentlich egal, ich schlage mit Fäusten auf die Geschichte ein, um es ihr zurückzuzahlen.

So dachte sie. Dazu konnte sie Teures trinken; manchmal war das an die hundert Jahre alt.

Dann kam Freddy.

Fred Jochen Schörs, den sogar seine Eltern Freddy nannten, seit er sich Ende der Achtziger beim Queen-Sänger Mercury den Oberlippenbart abgeguckt hatte, war ein absurd gutaussehender Mann. Er hätte nicht schön sein sollen: Wer sich die schwarzen Haare so ölig nach hinten gelt, wer sich solche Hemden anzieht, wer ein so markant knochiges Gesicht mit so deutlich eingekerbten Wangen spazierenführt und die engstmöglichen schwarzen Jeans zu taubenweißen Adidas-Turnschuhen trägt, als wären Fleetwood Mac, REO Speedwagon und Foreigner immer noch die Herrscher des Morgenradios, den dürfte Anfang des neuen Jahrtausends niemand schön finden, schon gar keine Frau wie Beate.

Und doch: Ein romantischer junger Heldendarsteller war das, den Friedrich Schiller rollengerechter nicht bei Amazon.com hätte bestellen können. Seht her, der hier schlägt Drachen tot, wenn es sein muß, steht in der S-Bahn für alte Damen ab Dreißig auf und heuchelt bei Gedichtlesungen blasser stotternder Lyrikerinnen aus Schtuttgart noch glaubwürdig Interesse, wenn den Lehrerinnen, Volkshochschulzwangsverpflichteten und Rentnern im Publikum längst das kochende Blut aus den Ohren tropft.

Es lag an den Augen. Blau waren die wie Wodka, den ein Engel auf jungfräuliches Eis geweint hat, blau wie die Unschuld selbst, vom Juwelier des Jenseits mit Tüchlein und Tinktur auf heiligen Glanz poliert, blau wie der himmelweite Friede Gottes, höher denn alle Vernunft.

Freddy Schörs lebte den Widerspruch zwischen seinen scheußlichen Klamotten und der Schönheit seiner Augen sowie seines Wesens mit entspanntem Understatement und heimlichem Elan. Schon kurz vor dem Abitur an einem erzbadischen Gymnasium beschloß er, einen Beruf zu ergreifen, den man am allerwenigsten mit Leuten verbindet, die aussehen wie er: "Ich werde Buchhändler. Mit eigenem Laden. Die erste Adresse für Bücher, die ... gut sind. Gute Bücher. Anstatt die ganzen schlechten. Die sollen sie mal schön woanders kaufen. Bei mir gibt es nur gute. So wird das."

Abitur, Buchhändlerlehre (praktischer Teil: Katholische Buchhandlung Herder, Freiburg im Breisgau), Geld borgen (von der Bank und von seinem Vater, einem erfolgreichen Sportmediziner), los ging's: Jetzt mache ich das einfach, dieses "ein erwachsener Mensch sein". Das niedlichste an diesem erwachsenen Menschen, fand Bea später, war wohl, daß er für das, was die meisten Leute "beknackt" oder "bescheuert" nannten, einen eigenen Ausdruck besaß, dem was Lautmalerisches anhaftete und dessen Herkunft er selbst nicht erklären konnte, eins dieser Wörter, die Kinder erfinden oder irgendwo falsch aufschnappen: "beschemselt".

Beate Eich begegnete Freddy auf der beschemselten Frankfurter Buchmesse 2001.

Das war eine nicht besonders splendide, eher bedrückte Veranstaltung, die noch ganz im Zeichen des 11. September stand, überschattet von Milzbrandpostpanik und der Gruselhoffnung auf irgendeine sehenswerte Messekatastrophe. Das Hotel, an dessen Bar Freddy Schörs die Bekanntschaft von Beate machte, nannte sie, schon leicht angeheitert, mit einem destruktiven Glitzern im Blick, "prima mittelschäbig".

Freddy erkannte sofort, daß er in Beate einen Menschen vor sich hatte, der fast noch unstimmiger schön war als er selbst: gekleidet in einen grauen Wickelrock und eine brieftaubenweiße Bluse sowie die dazu passenden dunklen Strümpfe und blutrote Schuhe, erinnerte die Frau, die Freddy zutreffend auf Anfang Dreißig schätzte, mit ihrer Schmetterlingsbrille und dem roten, glatten, eigentlich schulterlangen, aber streng nach hinten gekämmten und dort mit einem Schildpatt-Steckkamm zusammengebundenen Haar, den flaschengrünen Augen und den ungeschminkt himbeerroten Lippen an gut drei Dutzend Rollen, die Jodie Foster in ihrem Leben gespielt hatte. Streng, dachte er, und Altertümern gegenüber sicher aufgeschlossen - Antiquitäten wie mir, dem vergessenen Sänger einer fast vergessenen Studioband.

Was die wohl macht? Vertriebsleiterin eines archäologischen Fachverlages? Heidelberger Oberchefin einer rechtsextremen Studentenverbindung? Redakteurin bei der "Jungen Freiheit"? Lektorin für Jürgen Möllemann? Heimliche Geliebte Jörg Haiders, Organisatorin des ehrwürdigen öffentlichen Klagenfurter Wettfurzens?

Guten Tag, ich heiße Freddy Schörs, mein Laden heißt "Flaubert&dergl.", führt nur gute Bücher und folglich keine von aufstrebenden zwölfjährigen Schnöseln, die über ihre zwei Wochen zurückliegende Kindheit poplustige Traktätchen im Stil evangelischer Jugendarbeit verfassen, ich habe noch nicht mal ein eigenes Auto und esse nur Salziges zum Frühstück. Wie also, um das jetzt also doch gleich mal ganz deutlich zu fragen, wäre es mit uns beiden? Aus der Box der bareigenen Quatschmusikanlage gab sich Sheryl Crow angemessen gelassen:

Pour a drink

And I'll pull the blind

And I wonder what I'll find

Nein, berichtigte Beate lachend, für Möllemann habe sie noch nicht gearbeitet. Vielmehr sei sie freischaffende Lektorin für verschiedene (nicht archäologische, aber doch) Kunst- und Bildbandverlage, und Sheryl Crow gefiele ihr auch ganz gut, die habe sie sogar mal live gesehen, in New York, Madison Square Garden, mit den Dixie Chicks und Eric Clapton als Gästen.

I have a face I cannot show

Make the rules up as I go

Er erzählte ihr daraufhin, was er so trieb und warum er auf seine unvermeidliche Pleite einigermaßen gelassen wartete: "Ich will dabei vor allem lernen. Vielleicht mache ich dann einen Kleinverlag. Man muß seinen Ehrgeiz vor allem darauf richten, auf möglichst viele verschiedene Arten keinen Erfolg zu haben."

He was high on intellectualism

I've never been there

but the brochure looks nice

Sie unterhielten sich sehr gut, zwei Stunden lang: Salman Rushdie, Sheryl Crow, Jill Sobule, Alison Krauss, Countrymusik allgemein, Jugendkriminalität, der 11. September, George W. Bush, Bill Clinton, New York, Parfüm, beschemseltes Zeug aus aller Welt.

Dann waren sie komplett betrunken und gingen zusammen auf sein Zimmer. Dort zerknüllten und verwuschelten sie schön fleißig die froschgrünen Laken und ihre Frisuren. Es war ein Anfang.

Hätte Freddy Schörs damals, während der ansonsten so stumpfsinnigangstbeladenen Messe, außer den Literaturbeilagen der großen überregionalen deutschen Tageszeitungen im Hotel beim Frühstück auch die regionalen Frankfurter Nachrichten studiert, wäre ihm vielleicht beiläufig, ohne daß er ihn erkannt hätte, der wahre, in der Tat berufliche, aber alles andere als kulturelle Grund für Beates Anwesenheit unter die Augen gekommen. Zu seiner Ehre darf man aber sagen, daß er selbst im unwahrscheinlichen Fall, daß ihm irgendein Lektüredetail die richtigen Verbindungen zwischen den Tatsachen suggeriert und ihn also auf einen zutreffenden Gedanken darüber, womit Beate ihr Geld verdiente, gebracht hätte, weiterhin an ihr interessiert geblieben wäre. Wahrscheinlich wäre sie durch dergleichen sogar noch interessanter für ihn geworden. So tickte er nun mal, crazy little thing called love.

Die Idee einer einigermaßen vernünftigen, tragödienfreien Lebensplanung hatte ab dem Moment jener Bar-Begegnung im Zeichen der relaxanten Sheryl aber nicht nur bei ihm, sondern bei allen beiden nichts mehr zu bestellen: Springen wir rein, auf geht's.

Dietmar Dath, 35, ist Redakteur im Feuilleton der F.A.Z. Sein Roman "Für immer in Honig" erscheint in dieser Woche im Implex-Verlag.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.04.2005, Nr. 13 / Seite 32

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